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Adelina Banakiewa: „Öffentlichkeit Bulgariens muss Kontrolle über soziale Institutionen übernehmen!“

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Foto: Privatarchiv

Adelina Banakiewa gehört zu jenen Menschen in Bulgarien, die sich eines jeden Problems der Bürger annehmen. Sofort eilt sie zu Hilfe, wenn es beispielsweise darum geht, dass irgendein Kind keine Schuhe hat, um in die Schule gehen zu können, oder in einem Schrottauto in einer Seitenstraße lebt. Die meisten von uns sind der Ansicht, dass die Sorge um die ausgesetzten Kinder den entsprechenden Institutionen zukommt, doch für Adelina Banakiewa ist das nicht so. Oft muss sie gegen die Abgebrühtheit einiger Beamten ankämpfen, in deren Augen die Kinder nur Zahlen sind, die einen Geldbetrag verdeutlichen, den der Staat für deren Pflege bereitstellt. Adelina kann und will sich nicht mit der Korruption im sozialen Bereich abfinden und ist stets auf der Suche nach Hilfe; sie verbreitet eifrig die Wahrheit über die Kinder aus den Sozialheimen. Es ist für sie keine Schande, um Geld zu bitten, wenn einem Kind in Not geholfen werden muss. Resigniert meint sie, dass die Gesetze die Menschen und Firmen leider in keiner Weise zur Wohltätigkeit anhalten. Doch dort, wo der Staat förmlich fehle, müssen die aufgeweckten und empfindsamen Bürger die Initiative ergreifen, meint sie. An sie richtet sich ihr Appell...

Vor etwa 7 Jahren wurde sie mit der Misere konfrontiert, in der eine Familie mit ihren drei Kindern lebte. Da begann sie an die Türen der verschiedenen Institutionen zu klopfen und verschrieb sich voll und ganz der freiwilligen Sozialarbeit.

Es ergab sich alles ganz zufällig, erzählte sie uns. Ich wartete an einer Bushaltestelle, als vor mir ein 11jähriges Kind in Ohnmacht fiel – aus Hunger. Es war unterernährt und der Notarzt konstatierte einen extrem niedrigen Zuckerspiegel im Blut. Ich versuchte seine Eltern ausfindig zu machen, denn das Kind musste zur Behandlung in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Es stellte sich heraus, dass es mit einem 4jährigen Bruder und einer 6jährigen Schwester in einem Schrott-Fahrzeug lebt, das auf einem Parkplatz in einem der Randviertel Sofias abgestellt ist. Eine Nachfrage ergab, dass diese Kinder offiziell einen Kindergarten besuchen bzw. zur Schule gehen. Zu meiner großen Verwunderung gelang es mir nicht, die Leitung der entsprechenden Schule dazu zu bringen, die verantwortlichen Institutionen über den Fall zu alarmieren, so dass den Kindern dann bessere Lebensbedingungen gesichert werden können. Der Schulleitung lag einzig die Zahl der eingeschriebenen Schüler am Herzen, denn davon hängen die staatlichen Zuschüsse für die Schule ab. Falls die Schülerzahl sogar unter einen bestimmten Grenzwert rutschen sollte, könnte die Schule selbst geschlossen werden. Es ging nur um Zahlen. Keinen berührte es, dass diese Kinder eine psychisch kranke Mutter und einen Vater haben, der Alkoholiker ist. Mit solchen Eltern warte jedoch auf diese Kinder nichts Gutes! Also richtete ich mich persönlich an die Institutionen und an die Menschen, die meiner Meinung nach Verständnis für das Problem aufbringen können. Es war überaus schwierig, die Beamten davon zu überzeugen, dass diese Kinder eines Schutzes bedürfen. Als ein noch größeres Problem erwies es sich, die Kinder in einem SOS-Kinderdorf unterzubringen, die damals noch von der Zentrale in Österreich finanziell unterhalten wurden. Es ging nicht nur um ein Kind, sondern gleich um drei! Und so begann mein Kampf zur Unterstützung von Kindern aus Problem-Familien, die in irgendwelchen Heimen abgestellt worden sind.

Leider haben sich in der Zwischenzeit die Dinge nicht sonderlich verändert, muss Adelina Banakiewa schweren Herzens zugeben. Sie kann es nicht verstehen, warum um einen Fall des Sorgerechtsentzugs einer bulgarischen Familie, die in Norwegen lebt, so viel Wind gemacht wird, während doch bei weitem schwerere Probleme ungelöst bleiben.

Nachdem die sogenannte „Deinstitutionalisierung“ der Heimkinder eingeleitet wurde, die wir alle anfänglich begrüßten, erwies es sich, dass sie für uns im Augenblick ungeeignet ist, erzählt Adelina Banakiewa. Keiner war auf die Umstellung vorbereitet – weder die Gesellschaft, noch die Staatliche Kinderschutzagentur. Nachdem die Heime geschlossen wurden, verteilte man die Kinder auf wirtschaftliche arme Regionen. Sie wurden damit für die Aufnahmefamilien zu einem Broterwerb. Die Kinder gelangten von einem wunderbaren Ort, wie es die SOS-Kinderdörfer mit ihrer gesamten Infrastruktur waren, in alte Plattenbauten einstiger Arbeitervorstädte, die die Menschen wegen der Auflösung der örtlichen Betriebe verlassen hatten. Die Mitarbeiter von „SOS Bulgarien“ fanden sich damit einfach ab, was ich bis heute nicht verstehen kann. Ich stelle weiterhin die Frage, wem es nützt, die Kinder in einem Plattenbau unterzubringen, wenn doch wunderbare Bedingungen und eine spezielle Infrastruktur für sie geschaffen wurden. Die SOS-Kinderdörfer stehen nun leer; die Kinder ihrerseits haben große Probleme. Ich meinerseits unternehme alles, um ihnen zu helfen – sammle Kleindung und mache Schenkungen, doch das reicht nicht aus. Bei uns herrscht ein großer Bedarf an aufgeweckten Menschen mit Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft, die von den Institutionen Rechenschaft fordern können.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



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