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„Wie viele Tropfen auf dem Kopf, so viele Kinder im Haus“

Zum Hebammentag im Dorf Losen bei Sofia

Wie viele andere auch, wird das Volksfest, genannt „Omas-Tag“ und gewidmet den Hebammen, an zwei Tagen begangen: am 8. Januar nach Gregorianischem Kalender und am 21. Januar nach Julianischem Kalender. Traditionell ist es das letzte der drei aufeinanderfolgenden Feste: Taufe des Herrn am 19. Januar, Johannes-Tag am Tag darauf und der Omas-Tag – alles Bräuche, die mit rituellen Waschungen in Verbindung stehen.

Bei den ersten zwei Festen handelt es sich um zwei große Kirchenfeiertage, während das dritte ausgesprochen heidnische Ursprünge hat. Es gibt jedoch eine interessante Tatsache, nämlich als die Bulgarische Orthodoxe Kirche zum Gregorianischen Kalender überging und das Gros der Feste um 13 Tage nach vorn verlegt wurden, dies auch mit dem Omas-Tag geschah, was auf vorchristliche Zusammenhänge zwischen den drei Festen zurückgeführt werden kann. Offiziell wird der Tag der Hebammen am 8. Januar begangen, doch vielerorts hält man noch an die alten Traditionen fest und begeht die Feiertage nach dem alten Kalender. Das gilt beispielsweise für das Dorf Losen am Fuße des Losen-Gebirges, 17 Kilometer von der Hauptstadt Sofia entfernt, in der übrigens viele der Dorfbewohner zur Arbeit gehen. Die Einheimischen halten sich streng an die Traditionen ihrer Vorfahren, auch wenn sich einige Neuerungen eingeschlichen haben. So z.B. wird der Omas-Tag im örtlichen Kulturhaus begangen, in das junge Mütter, ältere Frauen und Mädchen zusammenkommen.

Im Zentrum der Feierlichkeiten stehen die Darbietungen der Dorf-Folkloregruppe, geleitet von der populären Sängerin aus der Schopen-Region Sneschka Borissowa. Sie teilte uns über die Traditionen zum Omas-Tag in ihrem Geburtsdorf folgendes mit:

Es ist ein sehr schönes Fest, mit dem man den Hebammen die nötige Achtung bezeugt, denn sie helfen bei der Geburt neuen Lebens. Der Omas-Tag wurde schon immer in unserem Dorf begangen und zwar stets nach dem alten Kalender. Wie es in ganz Bulgarien Brauch ist, gießen die Frauen, die im letzten Jahr Mutter geworden sind, den Großmüttern zur Waschung Wasser über die Hände und schenken ihnen Handtücher und Seife. Die Omas ihrerseits binden den Kindern ein Halskettchen mit aufgefädelten Bonbons, Knoblauchzehen und für gewöhnlich einer Kleinmünze um.


Als es bei uns im Dorf noch eine Entbindungsstation gab, luden wir auch die Hebamme zu diesem Ritual ein. Heute laden wir die Kinderärztin ein. Jede junge Frau hat etwas zubereitet: Banitza (das traditionelle Blätterteiggebäck) und Kuchen. Gemeinsam wird ein langsamer Reigen getanzt und gesungen. Es machen sowohl die jungen, als auch die betagten Frauen mit und es wird ein fröhliches Fest. Die Tradition verlangt es und so beteiligen sich nur Frauen an den Ritualen zum Omas-Tag. Natürlich sind auch Männer willkommen, wenn sie sich unbedingt der Feier anschließen wollen – man muss sich jedoch im Klaren sein, dass es sich um ein reines Frauenfest handelt.

Früher machten die Omas die Runde im Dorf und besuchten alle Häuser, in denen sie im vergangenen Jahr bei der Geburt eines Kindes geholfen haben. Die Kinder wurden von ihnen rituell gewaschen und erhielten ein Halskettchen, das sie selbst angefertigt hatten. Heutzutage werden die Amulette im Kulturhaus gebastelt. Das Auffädeln von Bonbons und Knoblauchzehen auf einem blau-weißen oder rot-weißen Faden ist eine örtliche Tradition. Andernorts bringen die Großmütter Butter und Honig, Wolle und runde Brezeln.

Nach der rituellen Waschung der Hände nehmen die Omas des Dorfes Losen ein Sträußchen Waldstorchschnabel, tauchen es in das Wasserkesselchen und besprengen die Köpfe der Kinder mit den Worten: „Wie viele Tropfen auf dem Kopf, so viele Kinder im Haus!“

Snescha Borissowa kann sich noch an viele lustige Augenblicke erinnern, die mit dem Omas-Tag im Nationalen Folkloreensemble „Philipp Kutew“ im Zusammenhang stehen, in dem sie viele Jahre mitgewirkt hat:

Als ich im Philipp-Kutew-Ensemble tätig war, gab es eine Nachstellung des Brauches „Omas-Tag“, mit der gezeigt wurde, wie diese Tradition in der bulgarischen Folkloreregion „Thrakien“ gepflegt wurde. In der Inszenierung versucht ein Mann sich in das Fest einzumischen, wurde aber von den Frauen, die ihm keineswegs nur sprichwörtlich an den Kragen gingen, so lange hin und her gezerrt, bis er in Unterwäsche dastand. Bei uns in Losen habe ich es noch nie erlebt, dass man Männer vom Fest verjagt, oder sich über sie lustig macht. Mir ist jedoch bekannt, dass man das anderswo in Bulgarien tut. Den Omas-Tag begingen wir gemeinsam mit den anderen Sängerinnen des Ensembles.

Ich hatte das Glück, mit jenen Sängerinnen zusammenarbeiten zu können, die aus der ersten Generation stammen und bei der Gründung des Ensembles von Philipp Kutew persönlich ausgewählt worden waren. Einig von ihnen waren bereits in Rente gegangen; ich z.B. habe die Nachfolge von Werka Siderowa angetreten. Man hat mir erzählt, dass sie sehr aktiv gewesen ist, als man den Omas-Tag gefeiert hat – sie hat eine echte Vorstellung gegeben. Für mich war es sehr interessant, den Erinnerungen zu lauschen. Zu meiner Zeit bereiteten die Sängerinnen, die Enkelkinder haben, eine Tafel vor, an der wir uns versammelten. Vordem wurden aber all die altbekannten Rituale vollführt, die zu diesem Brauch gehören. Diese Frauen trugen die Folklore im Herzen und hielten die Traditionen ihrer Heimatregionen, aus denen sie stammten, wach. Ich bin davon überzeugt, dass das etwas ist, das man nicht erlernen kann. Man muss den Brauch selber erleben, daran teilnehmen, sich ihn verinnerlichen. Für mich ist es ein großes Glück, dass ich in Losen zur Welt gekommen bin, da dort die Traditionen noch eingehalten werden. Ich bin mit ihnen groß geworden.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

Fotos: Privatarchiv



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