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100 Jahre Balkankriege: Die Schlacht um Adrianopel

Bulgarische Infanterie überquert eine Brücke über die Maritza auf dem Weg nach Adrianopel, 1912
Foto: www.lostbulgaria.com

Die Schlacht um Adrianopel, eine Stadt im Südosten der Balkanhalbinsel, heute unter den Namen Edirne Teil der Türkei, war der letzte entscheidende Kampf, der zum Zerfall des Osmanischen Reiches führte. Damit wurde auch der Ausgang des Ersten Balkankrieges entschieden, der 1912 vom Balkanbund eingeleitet wurde, um die noch unter türkischer Fremdherrschaft stehenden Gebiete zu befreien. Der Sieg bei Adrianopel beschleunigte aber auch andere Prozesse in der Türkei selbst: 9 Jahre nach der Schlacht entstand aus den Überresten des Osmanischen Reiches die moderne türkische Republik des Kemal Atatürk.

Die damalige Festung Adrianopel war die bedeutendste in Südostthrakien und stand im Mittelpunkt der Kampfhandlungen im Ersten Balkankrieg. Adrianopel war nach Konstantinopel die bedeutendste europäische Stadt des Osmanischen Reiches und die Region besaß neben der wichtigen wirtschaftlichen, auch eine immense strategische Bedeutung als Konstantinopler Vorland. Die Stadtfestung selbst war von deutschen Kriegsingenieuren ausgebaut worden und galt als uneinnehmbar. Die Einnahme der Stadt durch die Bulgaren verursachte eine Welle von Veröffentlichungen in den damaligen Medien.

Richten wir unseren Blick an dieser Stelle auf die Vorgeschichte zu diesem Sieg. 1911 hatte Bulgarien den Gedanken eines Balkanbundes gegen das Osmanische Reich vorgebracht. Im Jahr darauf schlossen Bulgarien und Serbien einen Offensivvertrag, dem folgte ein bulgarisch-griechischer Vertrag und schließlich wurden bis zum September 1912 die entsprechenden Militärkonventionen unterzeichnet.

Am 8. Oktober erklärte Montenegro eigenmächtig der Türkei den Krieg; bis zum 17. folgten Bulgarien, Griechenland und Serbien.

Das Osmanische Reich befand sich zu jener Zeit in einer politischen und wirtschaftlichen Krise und sah sich außer Stande, mit den ethnischen, religiösen und anderen inneren Konflikten fertig zu werden.

Die ersten militärischen Niederlagen blieben nicht aus: am 24. Oktober mussten sie Kumanowo und zwei Tage später auch Skopje räumen, am 8. Oktober Saloniki und am 18. Bitolja.

© Foto: lostbulgaria.com

Bulgarische Infanterie sturmbereit nahe Adrianopel

Laut den Geheimabkommen im Balkanbund kam Griechenland und Serbien die Aufgabe zu, die militärisch relativ schwach geschützten Gebiete Makedonien und Kosovo von den Türken zu befreien, während sich Bulgarien der militärischen Hauptmacht der Türken an der Tschataldscha-Linie im Südosten Thrakiens entgegenstellen musste. Der Vorteil von Serbien und Griechenland lag auf der Hand. Während Bulgarien seine ganze Streitmacht nach Südosten in Richtung der Hauptstadt Konstantinopel richtet, verwirklichten Serbien und Griechenland auf verhältnismäßig leichte Weise ihr strategisches Ziel, eine gemeinsame Grenze zu bilden, indem die Gebiete Makedoniens besetzt werden, die vornämlich von Bulgaren bewohnt sind. Bulgarien sah sich außer Stande, seine ethnischen Territorien in diesem Teil der Balkanhalbinsel zu verteidigen, im Vertrauen auf die korrekte Aufteilung der befreiten Gebiete nach dem Sieg über das Osmanische Reich.

Doch zurück zur Schlacht um Adrianopel. Näheres über die Festungsanlage erzählt uns Dr. Stojan Nikolow vom Nationalen Geschichtsmuseum in Sofia:

„Die Befestigungsanlage bestand aus zwei Ringen - einem inneren und einem äußeren mit 20 Einzelfestungen mit Artillerie. Verbunden waren diese Ringe mit einem System von Schützengräben und Stacheldrahtverhauen. Adrianopel selbst verfügte über 72 Einheiten mit insgesamt 70 Tausend Soldaten. Laut der damaligen Kriegskunst galt eine solche Anlage als praktisch uneinnehmbar.“

Jahre zuvor war die Anlage von deutschen Militärexperten nach den damals modernsten Erkenntnissen der Kriegskunst ausgebaut worden. Der preußischer Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz, der Ende des 19. Jahrhunderts die osmanische Armee reorganisierte, pflegte zu sagen, dass Adrianopel nur von der preußischen Armee nach mehrmonatiger Belagerung eingenommen werden könne.

Das bulgarische Militär griff die Festung jedoch nicht unvorbereitet an. Der Befehlshaber des Sofioter Festungsbataillons Oberstleutnant Stefan Slawtschew hatte vor Offizieren der Sofioter Garnison mehrere Vorträge über die Festung Adrianopel und Möglichkeiten zu ihrer Einnahme gehalten. Das war jedoch bei weitem nicht alles!

„Ein ausgesprochen hoher Verdienst kommt dem Major Djanko Nedeltschew zu“, erzählt weiter Militärhistoriker Dr. Nikolow. „Einige Jahre vor dem Balkankrieg war die bulgarische Militärführung zu der Überzeugung gelangt, dass eingehende Informationen über die Festungsanlage von Adrianopel eingeholt werden müssen. So wurde Major Nedeltschew als Diplomat in die Stadt entsandt. Zwei Jahre lang zeichnete der Artillerieoffizier emsig alle Schutzeinrichtungen eine nach der anderen auf und erstellte so eine ausgesprochen nützliche Karte.“

So gelang es der bulgarischen Militärführung eine spezielle Taktik zur Einnahme des Bollwerk auszuarbeiten. Dennoch herrschte Unsicherheit, ob eine derartige Festung auf diese Weise genommen werden kann. Zudem war Adrianopel nicht die Einzige Festung, die erstürmt werden musste. Und so begnügte man sich vorerst mit einer Belagerung. Damit wurde General Nikola Iwanow und die von ihm befehligte Zweite Armee betraut.

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Befehlshaber der Zweiten Armee, General Nikola Iwanow (vorn), und sein Generalstab vor den Toren Adrianopels am Ufer des Maritza-Flusses, Oktober 1912

„General Iwanow sandte ständig Schreiben an das Generalkommando, einem Sturm zuzustimmen“, sagt Dr. Stojan Nikolow vom Nationalen Geschichtsmuseum in Sofia. „Gleichzeitig damit bereitete er seine Soldaten und Offiziere auf die langerartete Aktion vor. Die oberste Militärleitung gab dem Drängen erst nach, als im Januar 1913 Generalmajor Georgi Wasow zum Oberbefehlshaber der Zweiten Armee ernannt wird. Er ist von der Ausbildung her Ingenieur und Experte im Festungsbau. General Wasow fördert die zielgerichtete Ausbildung der belagernden Truppen und erwirkt schließlich den langersehnten Sturmbefehl.“

Am 12. März 1913 begann ein massiver Artilleriebeschuss und gestartet wurde eine Nachtattacke. Am Mittag des 13. März sah sich das türkische Militärkommando der Festung gezwungen, sich zu übergeben. Der Ausgang des Krieges war entschieden.

Die Einnahme von Adrianopel verursachte in Europa eine Mediensensation. Das Interesse an Bulgarien stieg immens. Man begann von einem bulgarischen Wunder zu sprechen, was Wirtschaft, Bildung und Technik anbelangt.

Die bulgarische Taktik fand Eingang in die Lehrbücher. Die bulgarische Armee hatte zum ersten mal in der Kriegsgeschichte einen kombinierten und zentral koordinierten Beschuss vorgenommen, der von da an als Feuerwalze bezeichnet wurde. Gleichzeitig damit kamen die Fußtruppen voran. Bei Adrianopel wurden auch zum ersten mal Flugzeuge für die Lufterkundung und den Abwurf von Bomben genutzt - Vorgehensweisen, die die weitere Kriegsführung grundlegend veränderten.

Zwei Monate nach dem Sturm auf Adrianopel wurde in London ein Vorfrieden unterzeichnet, der den europäischen Teil der Türkei auf die Linie Enos-Midia beschränkte.

Der Erste Balkankrieg endete für Bulgarien mit einem glänzenden militärischen Sieg, brachte dem Land jedoch eine verheerende politische Niederlage. Die einstigen Verbündeten wurden sich gegen Bulgarien einig und es kam zum Zweiten Balkankrieg, dem sich auch Rumänien anschloss.

Für Bulgarien, das sich allein gegen alle gegenüber sah, endete dieser mit der Ersten nationalen Katastrophe; abgespalten vom Mutterland wurden große Territorien mit vornämlich bulgarischer Bevölkerung. Adrianopel, Dimotika und Kirkkilisse wurden wieder der Türkei angeschlossen; die Süddobrudscha musste an Rumänien abgetreten werden; die Gebiete von Südmakedonien, einschließlich Drama, Seres und Kavala wurden griechisch; während Nord- und Mittelmakedonien an Serbien kam. Einzig das Gebiet Südwestthrakien mit Ausgang zur Ägäis blieb bulgarisch - dieses musste jedoch nach dem 1. Weltkrieg, bei dem Bulgarien ebenfalls zu den Verlierern gehörte, an Griechenland abgetreten werden.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow

По публикацията работи: Weneta Pawlowa


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